Texte


NUR BLECH?

Es war ein gelungenes Gartenfest. So ein Fest macht Sonny einmal im Jahr. Die meisten Freunde waren gekommen. Samstag fingen sie mit Grillen an. Sonntag, am späten Nachmittag verabschiedete sie den letzten Gast, Alexander. Sie brachte ihn zum Auto. Eine böse Überraschung. Sein Auto, die rechte Seite völlig demoliert. Gott sei Dank ein Zettel an der Windschutzscheibe. Die Polizei war verständigt worden. Alexander kam noch mal glimpflich davon.

Wird bald wieder scheppern, Sonnys Gedanken. War beim letzten Glatteis auch so. Kurz hintereinander die gleich Stelle. Dann Ruhe für lange Zeit. Sie hatte Recht.

Früher Morgen, es dämmert. Ein lauter Knall. Sonny ein Satz aus dem Bett, ans Fenster. Schnelle Handlung, ein Reflex. Da! Genau die gleiche Stelle von gestern, nur ein anderes Auto. Herzklopfen. Hoffentlich keine Verletzten! Unheimliche Stille. Ein großes dunkles Auto überquert langsam die Straße, hält auf der anderen Straßenseite. Nach einer Weile, die Fahrertür weit offen. Ein langes Etwas mit ganz hellem Haarschopf fällt fast heraus, hält sich am Türrahmen, schwankt nach vorn zum linken Autolicht. Die Figur bückt sich, tastet das Auto ab. Ohne Frage, das ist der Unfallfahrer! Der helle Haarschopf auf ganz dünnen, hohen Beinen wankt davon. Im Nachbarhaus Lichter. Auch gegenüber im Altenheim, riesiges Gebäude. Festbeleuchtung. Unruhe. Stimmen. Lichter aus. Stille. Alles schläft?
Einwandfrei Fahrerflucht. Unter Alkohol? Sonnys Gewissen, ein Kampf in ihr. Dreimal legt sie den Telefonhörer wieder auf. Was wäre wenn gestern, am Auto von Alexander, kein Zettel? Das malt sie sich aus.  Entscheidung. Sonny wählt den Notruf. „Können Sie den Fahrer erkennen“, fragt die Stimme am Telefon. Sie zögernd: „Vielleicht.“
„Gut. Wir schauen mal, rufen zurück.“

Vor ihrem Haus. Ein Auto mit Blaulicht ohne Martinshorn. Der Kontakt vom Auto zur Wohnung per Telefon. Die Polizei fragt und notiert. Sonny erklärt vom weißen Auto vor dem Haus und dem dunklen Auto auf der anderen Straßenseite. Noch ein Polizeiauto ohne Ton. Blaues Licht dreht auf dem Autodach. Geisterhaft. Im Funk Wortfetzen: „Bitte kommen“ und „Ende“.
Dazwischen: „Heiße Spur, haben ihn gefunden, nehmen Verfolgung auf.“ Die Straße hört mit. Oder schlafen alle? Ihr wird kalt. Steht im Nachthemd auf dem Balkon. Zurück in die Federn. Letzte Nacht zu wenig Schlaf gehabt. Ist einfach müde. Kurz vorm eintreten ins Traumland wieder Telefon! Blaulicht vor dem Haus.

„Wir führen ihnen zwei vor. Kennen Sie die?“ Zwei Dunkle, Kurzhaarige werden mitten auf die Fahrbahn geschoben.
„Nein, die nicht,“ sagt sie mit Gewissheit. Die Kurzhaarigen zurück ins Auto. Sonny wieder ins Bett, friert. Dreißig Minuten später ein ähnliches Schauspiel. Kein Unterschied im Bühnenbild.

Die Nacht  fast vorbei. Von Schlaf keine Spur. „So“, heißt es wieder am Telefon: “Noch mal ein Versuch, den haben wir aus dem Bett geholt. Sturzbesoffen, Sohn vom Besitzer des Unfallwagens.“ Nichts geschieht. Dann zwei Polizisten, eine Figur in der Mitte, Handschellen auf dem Rücken. Kann nicht stehen, fällt vorn über. „Muss das sein?“ fragt es in Sonnys Kopf. Die Figur schwankt, wird gestützt. Die dünnen, hohen Beine, in engen Hosen, knicken ein, werden hoch gezogen. Der Kopf landet auf dem Kofferraum. Ein trauriges Bild. Kein Zweifel, die strohblonden Haare! Mitleid in Sonny. Sie ganz zaghaft: „Der könnte es sein.“

Inzwischen 8 Uhr morgens. „Sie müssen heute auf die Wache kommen, den Vorgang zu Protokoll geben.“ Ein Stunde später. Ihr Körper und Geist hatten sich gerade auf Schlaf geeinigt, wieder Telefon. „Sagen Sie, wann sind Sie geboren? Das fehlt in den Akten.“ Sonny reicht es! Sagt es ihnen. Hat keine Wirkung, ist zu geschafft.

Tage und Nächte der Vorwürfe beginnen. Sonny hatte das Gesicht vom Blondschopf nicht gesehen. Trotzdem, konnte nur ein junger Mensch sein. Hat ihm seine Zukunft zerstört! Fahrerflucht eine Straftat. Vielleicht hätte er sich selbst gestellt? Am anderen Tag? Trotzdem Fahrerflucht? Warum musste sie zum Telefon greifen? Die ganze Nachbarschaft hat es gehört! Blech auf Blech. Kümmerten sich nicht darum. Blieben vernünftig.
Schlaflose Nächte. Sonny findet keine Ruhe, keine Antwort. Das geschädigte Auto, ein 200 TE oder so, war hinten demoliert, lässt sich reparieren. Auch der Schaden, den sie Blondschopf für seine Zukunft zugefügt hat? Ihre Nerven zum zerspringen.

Auf dem Revier. Sie musste zweimal hin. Zögernd ihre Worte:
„Wissen Sie her Wachtmeister, meine Reaktion in der Unfallnacht war sicher nicht klug.“
„Doch, doch. Ihr Handeln war richtig. Das schöne Auto.“
Diese Antwort kein Trost für sie. Von ihren schlaflosen Nächten und quälenden Vorwürfen erzählt sie nichts. Ihre Probleme, selbst eingehandelt, hausgemacht.
„Wem gehört das Auto?“ fragt sie. „Ihrem Nachbarn, dem Jazz-Sänger. Der war vielleicht froh!“
Kann ich mir vorstellen. Von meinen Seelenqualen hat der keinen Dunst, geht es ihr durch den Kopf.
Sie wohnen sich genau gegenüber. Können sich in die Fenster schauen. Sieht ihn jeden Morgen mit seiner Frau. Sie, ganz kurze Haare, er weißen Bart. Sie wissen, Sonny rief die Polizei. Beide sehen sie jeden Tag, nur anschauen, dass tun die sie nicht.
Schlimme Träume, Nacht für Nacht. Sonny geht nicht mehr im Dunkeln zu Fuß nach Hause. Im Traum steht Blondschopf vor ihr, breitbeinig. Drei junge Männer hinter ihm, mit Schlagringen und Ketten bewaffnet. Sie sehen sich an. Wartet auf den ersten Schlag. Blondschopf hat Recht. Was kümmerte sie sich um seine Angelegenheit. Nun kümmert er sich um sie. Sonny spürt die Schläge, die Ketten, die Fußstritte. Einer spuckt ihr ins Gesicht. Sie haben Rache genommen. Lassen Sonny vor dem Haus liegen. Sie blutet. Wieviele Knochen sind gebrochen? Niemand hilft. Hat es nicht anders verdient. Wird sie Narben behalten im Gesicht?

Monate vergangen. Die Träume jetzt schwächer, nicht mehr so oft. Sieht den Sänger jeden Morgen – er sie nicht. Hat das weiße Auto nicht mehr. Vorladung vor Gericht. Blondschopf, sie werden sich nun sehen. Werden die Träume jetzt wahr? Nimmt das kein Ende?
6 Tage London. Eine Auszeichnung der Firma für Sonny. Zu dumm, dieser Termin bei Gericht. Kann man nicht verschieben, Sie muss erscheinen. Zwei Tage weniger London. Es muss sein.
Blondschopf, da sitzt er nun, hält einen Briefumschlag in der Hand. Die Verhandlung beginnt. Der Briefumschlag vom Blondschopf wird nun vom Richter geöffnet. „Wir müssen vertagen“, sagt dieser mit klarer Stimme. „Die Zeugin, Freundin von dem Herrn, kann nicht kommen. Hat gestern einen Sohn entbunden.“
Dafür zwei Tage geopfert? Sonny könnte Blondschopf ohrfeigen. Der nächste Termin dauert.

„Hatten Sie Telefonanrufe? Wurden Sie belästigt oder tätlich angegriffen?“
„Nein“. Von ihren Ängsten und Qualen erwähnt Sonny nichts.
Der Jazz-Sänger wohnt nun in einer anderen Stadt.

Die Straßenecke hat es immer noch in sich. Was wird sein, wenn`s wieder kracht?

 


HUNGER

Als sie das erste Mal wieder in ihr Elternhaus zurückkehrte, fiel es ihr nicht schwer. Sie zehrte von den vielen neuen Eindrücken und Erlebten, da draußen in der anderen Umgebung.

Jetzt nach einigen Jahren war es anders, sie konnte sich mit den Gegebenheiten nicht abfinden. Trotzdem, sie wollte eine gute Tochter sein. Also bemühte sie sich, arbeitete mit, auch im Haus und im Garten. Rasen mähen, die Kanten wurden exakt mit der Schere geschnitten und die vielen Hecken und Bäume, genau nach Vorschrift. Die Straße wurde peinlich sauber gehalten, gekehrt, schon wegen der Nachbarn. Im Haus selbst blinkte alles, kein Staubkorn. Die Mahlzeiten hielt die Familie pünktlich ein, genau nach der Uhr. Immer gab es Zwischenmahlzeiten, viel Kaffee und Kuchen. Unabänderbar. Natürlich nicht ohne Folgen. Sie passte sich den Eltern und anderen Geschwistern wieder an. Schließlich war auch sie schwergewichtig gewesen, bevor sie von zu Hause wegging.
Täglich abends, auch schon nachmittags lief der Fernseher. Keine Familienserie wurde ausgelassen. So wollte sie nicht weiter leben!

Ab jetzt las sie nicht mehr die Zeitung mit den großen Schlagzeiten als Überschriften. Las jetzt Bücher, erfand Geschichten und schrieb heimlich ihre Gedanken auf. Nicht lange, die Mutter bemerkte es. „Kind, du bist so anders als deine Geschwister und Eltern. Niemand in unserer Familie hat so etwas jemals gemacht. Auch nicht die Großeltern. Wo hast du das nur her? Sei wie wir.“

Irgendwann fügte sie sich. Sträubte sich nicht mehr gegen das viele Essen. Bereitete jetzt die Speisen für sich und die anderen Familienmitglieder zu. Bald fielen ihr keine neuen Rezepte mehr ein. Sie wurde krank. Die besorgten Eltern versuchten es mit viel Schokolade und herrlichen Torten. Sie wollten ihrer Tochter Gutes tun, alles geben. Es half nichts. Ein Arzt musste zu Rate gezogen werden. Achselzucken. Weiter zu einem Spezialisten. Seine Diagnose lautete: “ Unterernährung.“

 

 


EIN LÄCHELN

Der Pfarrer spricht von Mann und Frau, Treue bis dass der Tod sie scheidet. Ringe werden getauscht. Glocken läuten, Weihrauch mit Orgelmusik. Die Braut ganz in Weiß. Feierliche Zeremonie.

 

Höhen und Tiefen in dieser Ehe. Der Tod kam plötzlich und viel zu früh. Der Verlust sehr schmerzlich für Alma. Das Leben geht weiter.

 

Nach Jahren eine neue Verbindung. Auch beruflich. Alma richtet jetzt Häuser ein. Innen. Mit geringem Aufwand und der richtigen Farbe große Wirkung erzielen, das ist ihre Stärke. Das spricht sich rum. Sie weiss, die meisten Leute haben zu wenig Fantasie. Können sich nicht vorstellen, wie es danach aussehen wird.

 

Hier, in diesem Fall auch. Das Innere des Hauses hat eine Renovierung nötig. Die Besitzerin, kaum jünger als Alma, könnte selbst etwas frische Farbe gebrauchen. Ein neuer Anstrich der Wände und ihrem Gesicht würde nicht ausreichen. Möbel austauschen und einen kleinen Umbau würde sie der Kundin empfehlen und eine neue Frisur.

 

Sie gehen durch das Haus, betrachten die Räume, reden auch über das Leben.

Als die Kundin die Schlafzimmertür öffnet, sagt sie etwas von leben, lieben und Treue für immer und ewig.

 

Das Lächeln des Gesichtes, das Alma entgegen schaut vom Bild neben dem Bett, war Alma über Jahre vertraut.

 

 


Mach doch mal „ei“

„Über die Feiertage verreise ich nicht. Bring mir Beide.“ Sage ich.
Bärbel kommt, mit Charly und Mufti. Charly 40 cm lang, 30 cm hoch. Mufti 10 cm kürzer in jede Richtung. Beide von der gleichen Rasse, unterschiedliche Stammbäume. Zwei schöne Exemplare, Kern Terrier, sehr gepflegt. Herzliche Begrüßung.
„ Sei lieb zu ihnen, sie sind geimpft. Fühlen sich nicht gut. Also, bis dann.“
Weg ist sie, meine Schwester. Ihre Lieblinge stöbern durch die Wohnung, müssen alles inspizieren. Suchen ihr Frauchen, wollen zurück. Bleiben stehen. Blicken auf die verschlossene Wohnungstür, dann auf mich. Sie stehen jetzt dicht beieinander. Charly den Kopf nach links geneigt. Wo ist sie, das Frauchen? Ein letztes Schnuppern an der Wohnungstür. Kommen zurück, bauen sich vor mir auf, wie: “Und jetzt?“
„Ja, und jetzt machen wir es uns gemütlich. Erst mal bekommt ihr euer Wässerchen.“ Jeder einen eigenen Napf. Wichtig. Charly schnuppert, legt sich vor den Wassernapf. Seine Augen auf mich gerichtet, verfolgt jede Bewegung. Immer das Gleiche. Der denkt nur ans Fressen. Nichts gibt es, noch zu früh dafür. Mufti schlappert. Der Napf ist leer, das Wasser drumherum.
Ratsch, Ratsch. Ratsch, ratsch. Was ist das? Es verstummt. Erkläre Charly, dass es jetzt kein Fresschen gibt. Ratsch, ratsch. Charly erhebt sich in Zeitlupe. Lässt alles hängen, Schwanz, Ohren, Kopf.
Wieder ratsch, ratsch.
„Hörst du auf! Runter da!“ Mufti wie der Blitz. Die neue Ledercouch voller Kratzer. Ich weiß, Mufti macht sich gerne ein Nest. Meine Schwester findet das putzig. Ich nicht! Das teile ich Mufti mit. Sehr bestimmet, mit erhobenem Zeigefinger. Die Couch trägt jetzt Muftis Gütezeichen.  
War es mein Zeigefinger oder meine bestimmende Art? Mufti steht in der Küche und würgt. Ich auch! Mufti frisst Ihrs auf. Ich meins nicht.
Hätte es wissen sollen. Sie ist eben sensibel. Schimpfe schlägt auf den Magen.
„Kommt ihr Beiden. Gassi gehen.“ Freudiges Schwanzwedeln.
Im Treppenhaus. „Ach gleich Zwei….?!“
„Nur zu Besuch.“, sage ich. Beschwichtige.
Vor der Tür. Jetzt geht es los! Mufti kläfft, was seine Hundekehle hergibt. Hell und schrill, typisch für so kleine Tölen. Sie hüpft auf drei Beinen, Schwanz steil nach oben. Ihr gehört die Welt. Charly etwas älter, ganz gesetzt. Jeder Haufen, die Schnauze mitten drauf. Tröpfchenweise die Markierung, eben männlich. Mufti rationell, zwei Pfützen, will nach Hause. Charly schnuppert, will laufen. Rede mit Beiden, bitte um Solidarität. Keine Einigung. Charly will weiter, Mufti zurück. Verheddern sich in den Leinen.

Im Park. Ein nacktes Wesen, zitternd mit Beulen auf dem Rücken. Wohl mal ein Pudel gewesen. Dazu ein Mütterchen mit zarter Stimme. „Ja, Brauni würgt auch manchmal. Sehr sensibel. Pfützen in der Wohnung? Häufchen ganz selten. Ist doch schon alt.“
Charly, oh je, die Wirkung der Impfung. Das Hinterteil muss in die Wanne. Trocken föhnen. Mufti zerbeißt die Schnur.
Fresschen. Jeder sein Näpfchen, schmatz, schmatz, schmatz, schmatz, ganz schnell. Charly schiebt seinen leeren Napf durch die Küche. Geräuschvoll versteht sich. Verfressener Kerl.
„Brave Hunde. Ab ins Körbchen.“ Mufti versteht nicht, will in mein Bett.
„Nein, auch nicht an die Füße! Nein!“
Ein endloses Spiel. Denke ans Würgen, beleidigt, sensibel. Bleibe hart. Ein Geräusch. Oh, Schreck! Sitze im Bett und horche. Das kommt aus der Küche. Ach nur meine Schuhe. Ein neues Ruhekissen. Besser als mein Bett. Die Nacht ist lang, der Schlaf kommt zu kurz. Sind doch so herzig!
Gassi gehen, den beiden drückt die Blase. Anschließend in die Stadt. Torten für die Ostertage, Osterbesuch. Charly und Mufti bleiben im Auto. Könnten Häufchen machen in Fußgängerzone. Wäre mir peinlich.
Rückbank im Auto nach unten geklappt. Torten an die Seiten gestellt. Nur diese Mal hüpften die Lieblinge nicht durch die Mitte. Nehmen den Weg an der Seite nach draußen. Mein Besuch sind Hundefreunde. Mögen Tortenmuß.

Es riecht. Kann nicht sein. Waren oft Gassi. Doch, der Geruch! Ich spinne!
Gehe noch mal raus mit Charly und Mufti.  Wollen keine Häufchen machen. Trete in welche. Ein Mann beobachtet, quatscht mich an. Schade, dass ich einen festen Freund habe. Die Chancen steigen pro Hund. Bei Bedarf werde ich auf Mufti und Charly zurückgreifen.
Im Haus. Doch es riecht! Schaue mal nach. Im letzten Winkel! Es verschlägt mir die Sprache. Charly, die Wirkung der Impfung und Mufti Seins oben drauf! Kein Wort, nur Schweigen. Können ja nichts dafür.

„Sind die nicht süß? Nicht wahr, Angi? Mach doch mal ei. Nicht am Schwanz. Du musst dem Hund in die Augen sehen.“ Sagt die Nachbarin, Mutter von Angi.
„Wäre doch schön, heute Nachmittag im Park. Ich nehme den Buggy, falls Angi müde wird.“
Angi ist glücklich. Fährt Charly und Mufti stolz spazieren im Buggy. Hat zwei neue Freunde, tollen auf der Wiese. Charly sitzt vor mir, trockene Nase, zeigt ein Pfötchen. Hans der Doktor muss kommen, holt einen Dorn heraus. Angi tröstet.
Letztes Mal schlafen. Mufti weiß jetzt wo. Hat ihr eigenes Bett.
Bis jetzt schnupperten sie nur an meinen Bildobjekten aus Holz am Boden. Aber heute Nacht, ein Bild am Boden wurde zum Boden-See-Bild gemacht. Jetzt reicht es! Rein mit den Nasen. Ob es hilft?
Ostern vorbei. Meine Schwester kommt. Hat ihre Lieblinge wieder. Alle sind glücklich.

 


EIN mÄRCHEN

Er war kein Hiesiger, nicht aus dem Ort. Wollte nur für ein paar Monate bleiben.
Gute Umgangsformen, immer höflich, freundlich. Sicher aus gutem Hause. Das gefiel Anna an ihm. Auch den Eltern. Sie sahen sich den jungen Mann genau an. Man konnte ja nicht wissen – von wegen Schwiegersohn, irgendwann. Es war ein schöner Sommer. Die Nächte so lau im Mondschein. Nicht nur Händchen haltend.  
Von seinen Eltern erzählte er. Von dem riesigen Besitz, den Feldern, Wäldern und der Schreinerei mit den vielen Angestellten. Seinen Vater, ja den liebte er sehr. Seine Mutter auch eine liebenswerte Frau. Er erzählte gerne von zu Hause und seiner Kindheit. War jagen mit dem Vater und den Gesellen. Waldspaziergänge, reiten, einfach eine glückliche Zeit.

Gut, meinte Anna. Ich komme mit zu dir nach Hause. Die Landschaft stimmte, der See, die Felder und Wälder. Es gab auch eine Schreinerei im Ort. Fast eine Fabrik. Von seiner Kindheit sprach er nicht mehr. Seine Mutter sehr nett, wohnte bescheiden. Das machte neugierig.

Mit klopfendem Herzen und schlechtem Gewissen, der Schreibtisch der Mutter. Die Hefte und Ordner, da muss doch was sein.

Sie fand es, Belege, Briefe, Dokumente. Mutter ledig, Vater unbekannt. Es gab noch einen Bruder, älter als er. Wurde zur Adoption frei gegeben als Baby. Vater auch unbekannt.

 


SCHÄMEN, WOFÜR?

Sie braucht Abwechslung, muss unter die Leute. Gut, wir nehmen sie mit ins Kabarett. Das Publikum, es biegt sich vor Lachen. Sie rührte sich nicht. Alles hängt an ihr. Die Schultern, die Mundwinkel, die Vergangenheit, wie Blei.
„Worum ging es in dem Stück?“ fragt sie.
Wenn man sie anspricht, poltert sie los, als würde sie schimpfen. Unmöglich finde ich das. Meine Freundin streichelt ihrer Mutter die Hand. Kein Wunder, dass ihr Alter stiften ging. Anstrengend mit ihr. Fehlt nur noch, dass sie heult. Hier, wäre peinlich.
Es gibt nur ein Thema für sie. 44 Jahre für ihn geputzt, gebügelt, gekocht. 4 Kinder groß gezogen. Der Sinn ihres Daseins, die Familie. Jetzt fehlt er, der Sinn. Sie hat keinen Boden mehr unter den Füßen. Ihr Sohn: „Hoffentlich nimmt sie sich nicht den Strick. Sie faselt manchmal so.“
Die Kinder können nicht helfen.
„Soll ich nur noch die Enkel betreuen? Bitte nur manchmal“, sagt sie barsch.
Wir kümmern uns. „Wenn Frauen zu sehr lieben.“ Sie liest dieses Buch.
„Na und?“
Ihr Alter ist wirklich ein Schwein. Betrog sie mit dem Vermögen, Ihrem Unterhalt und der Rente. Behandelt sie wie Dreck. Hat eine Andere. Eine graue Maus, war immer berufstätig.
„Warum die“, fragt sie. „ Ich wollte doch mit ihm alt werden.“

„Da hat mich einer angesprochen“, sagt sie. „Jetzt ruft er mich jeden Tag an.“
Na endlich. „Sag ja, geh mit ihm essen, spazieren.“
„Nein, ich traue mich nicht.“ Sie ziert sich.
Wir machen ihr Mut. Sie poltert nicht mehr. Manchmal lächelt sie. Es dauert. Er ist hartnäckig, lässt nicht locker. Sie fasst sich ein Herz. Er darf zum Kaffee kommen. Uns ist wohler.
„Wie ist er? Wann kommt er wieder? Ruft er noch so oft an?“ Wir wollen es wissen.  
„Mensch, Mädels, seid nicht so neugierig.“
Dann gesteht sie es uns. Wie es eben so passiert. Sie sagt:
„Meinen Alten, den will ich nicht mehr. Der hier hat so eine schöne Haut, einen so tollen Po. Ist so zärtlich und verständnisvoll.“ Sie wusste nicht, dass es so etwas gibt. Kannte ja nur ihren Alten. Ihre Augen strahlen, keinen hängende Mundwinkel mehr. Ihre Figur war immer noch mädchenhaft.
„Warum geht ihr nie aus? Warum nur bei dir?“
„Ach, was sollen die Leute denken, die Nachbarn. Da schäme ich mich.“
„Wieso.“
Sie stockt. „Er ist noch so jung. Könnte mein Sohn sein. 25 Jahre jünger als ich.“
„Na und?“

Erst feierten sie die Wochen, dann die Monate, das erste Jahr, jetzt das zweite Jahr. Sie weiß nicht, wo er wohnt, wie er sein Geld verdient. Er findet das lustig, sie nicht. Regelmäßig, mit Blumen kommt er. Am Wochenende kochen sie zusammen. Er trocknet das Geschirr.
„Irgendwann wirst du mich verlassen“, sagt sie. Er lacht.
Sie weiß es, aber die Zeit mit ihm möchte sie nicht missen.
Sie lädt uns zum Kaffee ein. Den Kuchen haben sie zusammen gebacken. Wir sitzen am Tisch. Vor uns eine strahlende Frau. Sie kichert wie ein junges Mädchen. Said schneidet den Kuchen auf.  

 


Die Weihnachtsfeier

Der Chef wird gesucht.

Vergeblich.

 

Ein junger Mann im Büro,

will wissen, wo sie war,

seine Frau heute Nacht.

 

Achselzucken bei den Kollegen.

Sie war auf der Weihnachtsfeier!

 

Ja und danach?

 

Vielleicht eine Stadtrundfahrt,

per Taxi gemacht?

 

Nein, sie hatte kein Geld ausgegeben,

volltrunken kam sie heim,

verkehrtrum ihre Kleider.

 

Was hat ER mit ihr gemacht?

 


Abschied nehmen

Süßlicher Leichengeruch schlägt ihm entgegen. Es macht ihm nichts mehr aus.
„Mann, ihre Frau muss unter die Erde.“
„Ja, ich weiß, “ sagt er zerstreut. „In ein paar Tagen.“
„Das haben Sie letzte Woche schon gesagt.“
„Ich muss noch mit ihr reden.“
Er ist von schlanker Gestalt, dichte Haare. Ein ganz normaler Mann mittleren Alters. Nun sitzt er schon eine Woche, jeden Abend neben ihr. Manchmal schließt er die Augen, murmelt. Ist in einer anderen Welt.
„Hilde, das Grundstück habe ich verkauft, gestern, samt dem Rohbau. Was soll ich nun tun? Jetzt ohne dich? Auf Reisen gehen? Ohne Dich? Umsonst all die Jahre gespart. Ich bleibe in der Wohnung. Nichts wird sich ändern. Lasse alles, wie es ist.“
Er atmet tief durch. Hilde hat die Hände gefaltet. Die Nägel lackiert. Danach sind sie noch etwas gewachsen. Am Nagelbett sieht man einen weißen Streifen. Ganz schmal. Letzte Woche sah sie noch aus, als würde sie schlafen, friedlich. Jetzt wirkt ihr Gesicht bleich. Wie aus Wachs. Ganz starr.
Er steht auf, stellt den Stuhl beiseite. Schiebt Hilde in den Kühlraum.
„Bis morgen, komme etwas später.“
Seine Haltung ist leicht nach vorn gebeugt. Er geht ganz langsam. Man sieht, es fällt ihm schwer.
Was soll er machen, ohne Hilde? Sie hat immer entschieden und gesagt, was zu tun ist. Ja, die letzten Wochen auch. Was ist, wenn sie wirklich unter die Erde muss? Dann ist es aus. Dann kann er sie nicht mehr sehen, ihre blonden Haare, ihre schlanken Hände. Nicht mehr reden mit ihr. Dann ist es aus! Dann muss er Abschied nehmen. Für immer.

Er zuckt, hat eine Idee. Das ist es! Eine Maske! Ja, eine Totenmaske lässt er von Hilde anfertigen. Die nimmt er dann mit nach Hause. Einen kleinen Altar wird er bauen für Hilde, mit zwei Kerzen. Dann könnte er immer reden mit ihr, zu Hause.
Am anderen Tag geht er zum Leichenbetreuer, mit seinem leicht nach vorn gebeugten Gang.
„Sagen Sie, eine Totenmaske, können Sie eine anfertigen?“
„Ja, das geht.“
„Gut, dann können wir meine Frau begraben.“

Der Sarg ganz schlicht. Hilde hätte es so gewollt. Wird in die Erde gelassen. Langsam. Er wirft eine Hand voll Erde und eine Rose nach.
„Bis bald, Hilde.“

Der Leichenbestatter überreicht ihm einen Karton.
„Hier die Maske.“

Vorsichtig legt er die Totenmaske auf ein Samtkissen. Er atmet tief durch. Etwas ist anders. Es fehlt etwas. Die Maske, nein, das ist nicht Hilde. Aus jeder Richtung betrachtet er die Maske. Atmet tief durch. Es dauert. Er schaut wieder, atmet tief. Etwas ist anders.
Behutsam, fast zärtlich wickelt er die Totenmaske mit dem Samtkissen in ein weißes Bettlaken.
„Gut Hilde, wenn du es so willst.“ Er trägt die Maske auf den Dachboden. Als er zurückkommt, ist sein Gang aufrecht. Er hatte Abschied genommen von Hilde.

Jahre danach. Er erinnert sich. Ja, auf dem Dachboden. Müsste mal suchen, geht es ihm durch den Kopf. Langsam steigt er die Treppe nach oben zum Dachboden. Mit der Taschenlampe leuchtet er in jeden Winkel. Vieles, auch Brauchbares hatte sich hier angesammelt. Eine Maus huscht über seine Füße. Er atmet tief durch. Ein vertrauter Geruch. So süßlich. Das ist doch, er stockt. Peterle, sein Kater! Einige Wochen ist es schon her, dass er weggelaufen war. Der Tierarzt hatte gesagt, dass er ihm nicht helfen könne. Peterle hatte sich wohl zum Sterben hierher verkrochen. Da! Das Bettlaken. Peterle hatte seinen Kopf darauf gelegt. Vorsichtig schiebt er ihn beiseite. Er atmet tief durch. So süßlich der Geruch. So vertraut.
Viel Staub war auf dem Bettlaken. Ganz grau war es geworden im Laufe der Zeit. Behutsam, mit zitternden Händen öffnet er das Laken. Da liegt sie. Hilde, auf dem Samtkissen. Sie war nicht verstaubt.
Einen Altar! Ja, einen Altar wird er ihr jetzt bauen. Mit zwei Kerzen kommt er zurück. Er lässt sich Zeit. Holt einen Schemel, stellt ihn ganz nah an seinen Altar. Er atmet tief durch. So vertraut der Geruch. Seine Augen sind geschlossen.
„Ja, Hilde du musst jetzt alles erfahren. Aber wo beginnen?“
Ein Film läuft vor seinem inneren Auge ab. Ein Film mit Projektor und Leinwand. Er bewegt seine Lippen, murmelt ganz leise: „ Hilde, die Sache mit Hela und Manni, die verzeihe ich mir nie. Kann nicht verstehen, wie es soweit kommen konnte.“
Hela eine tempramentvolle Blonde. Eigentlich passten sie nicht zusammen, oder wie Feuer und Eis. „Du bist mein Quell“, sagte sie. Später wusste er was für eine Quelle sie meinte. Da war das Geld vom Bauplatz, dem Rohbau und das Gesparte. Hela hatte einen Bruder, der verstand was vom Geld, war Direktor bei einer Bank. Vor solchen Leuten hatte er Ehrfurcht und Vertrauen. Blieb ja in der Familie in spe. Sie machten Gewinne. Als er die Unregelmäßigkeiten entdeckte, waren beide verschwunden mit all dem Geld. Hela und Manni hatten Gemeinsamkeiten, waren von gleichem Fleisch und Blut. Geschwister waren sie nicht. Nachts im Traum vollzog er den Betrug wieder und wieder. Wieso hatte er nichts bemerkt? Dummheit muss bestraft werden, aber gleich so hart? Die Blicke zwischen Hela und Manni, die verstand er erst später richtig. Wenn Einer von beiden etwas sagte, nur andeutete – der andere wusste Bescheid.

Sein Atem stoßweise, als erlebe er die Geschichte gerade nochmal. Er beruhigt sich, bewegt wieder die Lippen. Der Film läuft weiter. Lotti trat in sein Leben. Sie kümmerte sich um ihn. Er wollte nicht allein bleiben. Er arbeitete viel. Mit einem Patent machte er gutes Geld. Finanzielle Sorgen hatte er keine. Der Film kommt ins Stocken. Einen Herzschlag lang nur.
„Hilde!“ Er spürt heftige Sehnsucht nach ihr. So stark, es schmerzt in seinem Herzen. Eigentlich waren die Jahre mit Hilde für ihn die schönsten gewesen. Übelkeit. Die Schmerzen in der linken Brust , wie tausend Nadeln. Bis in die Schulter. Er sinkt zusammen, fällt vornüber. Eine Kerze, fast abgebrannt, reißt er mit. Erst das Bettlaken, dann das Samtkissen mit Hilde. Flammen kriechen über den Dachboden.

 


Ausgelöscht

Es klingelt, ganz sachte. Nochmal. Spät nach Hause kommen und den Schlüssel vergessen. Ganz neue Sitten. Wieder dingdong. Dieses Mal stärker. Sie rollt sich aus dem Bett. Ärger steigt in ihr hoch. Muss doch morgen sehr früh raus. Wird schlecht wieder einschlafen können.
Was soll das? Zwei blaue Gestalten kommen die Treppe herauf. Polizei?
Was wollen die? Sie faucht sie gleich an. Na ja, er wird zu schnell gefahren sein oder bei Rot über die Ampel. Wird den Strafzettel schon bezahlen, keine Bange. Dafür kommen die zwei nicht, durchzuckt es sie!

„Fährt Ihr Mann einen Sportwagen, dunkelrot? Kennzeichen M-KH 911?“
Sie nickt. Meint sie. In Wirklichkeit erstarrt sie zur Säule. Er hatte einen Unfall! Nein, nein! Nicht möglich! Zu den Polizisten sagt sie:“ Ein kaputtes Auto, was soll`s, kann man doch ersetzen.“
Sie legen ein beschriebenes Formular auf den Tisch. „Unfallbericht.“
Sie will nicht. Sie will nicht, dass es so ist! Die lügen, ja, die lügen. Sollen verschwinden! Jemand schlägt ihr mit voller Wucht in den Magen. Ihr bleibt die Luft weg. Muss sich setzen.
„Sehr verletzt? In welchem Krankenhaus?“, ganz zaghaft fragt sie.
Ein Blauer beugt sich runter zu ihr. „Sie sprechen zu leise, wir verstehen sie nicht. Hier die Telefonnummer der Polizeistation. Sie können dort anrufen. Leichenhalle.“
Den beiden Blauen ist es unangenehm. Sie gehen. Der Jemand wühlt ihr mit einem Messer in der Brust. Scheint nicht genug davon zu bekommen. Die Stiche werden stärker. Jetzt noch Arme und Beine. Immer schneller haut er auf sie ein. Sie wird verbluten. Vor ihr ein Fleischhaufen, ihr Körper.
„Bewegung, Bewegung“, schreit es in ihr. Sie kann sich nicht rühren. Der blutende Fleischhaufen klebt fest.
„Du bist schuld! Wärst du dabei gewesen, wäre es nicht passiert! Wo warst du? Du bist schuld! Wo warst du? Du bist schuld. “ Wie eine Schallplatte mit Sprung.
Bewegung, Bewegung! Ihr rechter Arm bewegt sich. Ihre Schwester am Telefon. Im Hintergrund Musik und Stimmengewirr. Wird bald ihr Lokal schließen. Feierabend für sie.
Ja, es ist eine Verwechslung. Es wird so sei. Oder auch nicht? Sie weiß es nicht genau. „Kannst du mich zur Polizeistation fahren?“  Sie versteht nicht. Hört nur die fröhlichen Stimmen der Leute im Hintergrund. Eine männliche Stimme: „Hör mal, du bist doch ein vernünftiges Mädel. Nimm zwei Schlaftabletten und geh ins Bett.“ Sie kann nicht verstehen.
Die Schallplatte mit Sprung läuft wieder ab. „Wo warst du? Du bist schuld. Wo warst du. Du bist schuld.“
Ich werde es in Ordnung bringen. Ich werde es euch beweisen. Es ist eine Verwechslung! Der blutende Fleischhaufen, eine unförmige Masse, bewegt sich. Langsam.
Unendliche Fahrt. Ein trauriger Taxifahrer schaut sie an. Was der nur hat. Versteht der sie nicht? Eine Verwechslung. Jawohl! Eine Verwechslung. Sie wird alles klären. „Fahren sie schneller. Mein Mann wartet schon.“

Wieder ein Blauer. Er knipst das Licht an. Führt sie in den Raum. Wieso liegt er da und schläft?
„Komm steht auf, lass uns gehen.“
Es ist kalt. Etwas zerbricht in ihr. Sie fällt und fällt. Der Blaue gibt ihr ein Glas Wasser. „Kommen Sie, hier die Sachen haben wir an der Unfallstelle gefunden. Ausweispapiere, Schlüssel, Armbanduhr, sie zeigt die genaue Zeit.

Ihre Schwiegermutter, aus dem Schlaf gerissen, öffnet. Sie schauen sich an. Kein Wort. Sie gehen zusammen in die Wohnung, in die Küche.
„Ich mache uns Kaffee.“
„Wo“, fragt ihre Schwiegermutter nach einer Weile? War er sofort tot?“

Ein anderer Jemand ist jetzt in ihr, treibt sie an. Es gibt viel zu regeln. Sie funktioniert präzise wie ein Uhrwerk. Möchte Zigaretten rauchen oder Wein trinken. Der Jemand sagt: „Nein kein Betäuben. Wenn du das tust, bist du verloren.“

Viele Trauergäste vor dem Eingang vom Friedhof, auf der anderen Straßenseite. Bekannte Gesichter, alte Freunde, Verwandtschaft, seine Kollegen und Viele, die sie nicht kennt. Nur noch ein paar Schritte. Gleich ist sie da. Es geht nicht. Ihr Körper krampft sich zusammen, ihre Beine ganz steif, kann sich nicht bewegen.
„Ein Arzt“, ruft jemand.
„Bitte kein Aufsehen.“ Sie flüstert. Einer rechts und einer links neben ihr. Sie wird in die Trauerhalle geschleift.
„Setz dich.“
Apathisch. Es ist so still. Warum ist er nicht hier? Die fangen gleich an. Jetzt sollte er doch wenigstens pünktlich sein.
„Schluck das. Es wird dir gleich besser gehen.“
Die Trauergäste drücken ihre Hand. Sie lächelt. Heile Welt. Was hat man ihr gegeben?
Diese Feier hätte ihm auch gefallen. Sie wird es ihm genau berichten. Anschließend Kaffee und Kuchen. Sie setzt sich an jeden Tisch. Muss sich um die Gäste kümmern. War immer eine gute Gastgeberin. Nur den Sinn dieser Feier, den versteht sie nicht.

Am Abend macht sie sich Kerzen an. Trinkt ein Glas Wein. Wieder dieser Windhauch, rechts neben ihr. Fenster und Türen sind geschlossen. Sie weiß, dass er wieder da ist. Sie hat ihn schon öfter gespürt. Es gibt noch so viel zu sagen.

Sie kann in keinem Fahrstuhl mehr fahren. Bekommt Alpträume. Angst schnürt ihr die Kehle zu. Sie kann nicht mehr allein in ein Lokal zum Essen gehen. Bildet sich ein, die Leute würden sie anstarren, die Köpfe zusammenstecken, über sie reden. Ihr dröhnt der Kopf.
„Das ist doch die, deren Mann neulich verunglückt ist. So ein junger, so wie sie.“ Zwischendurch das Zischen der Stimmen. „Na, der Unfall, wo er so schrecklich zugerichtet war. Dieser blutende Fleischhaufen. Nur der Kopf war noch heil. Wieso war sie nicht dabei?“

Regen, hohe Bäume, fast ein Park. Friedlich. Kränze mit ihren Schleifen sind zusammengesunken. Verwelkte Blumen, manche schimmeln durch die Feuchtigkeit.


Dunkle Welt

Meine Freunde Wilma und Ralf meinten, ich sollte sie raus schmeißen, sofort. Herzlos fand ich das. Hatten selbst einen Fall in der Familie. Natürlich anders. Ralfs Bruder war ein Schitzo. Sie nicht, war klar im Kopf, nur das Gemüt, eine Stoffwechselstörung. Wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Ließe sich mit Tabletten behandeln. Am Anfang achtete ich sehr darauf, dass sie die kleinen bunten Pillchen regelmäßig schluckte.
Eigentlich hatte sie mich angemacht, auf einem Straßenfest in der Nachbarschaft. Sie brachte mich dazu, mit ihr an den Wochenenden auf Flohmärkte zu fahren und altes Zeug zu verkaufen. Sie organisierte Alles, wusste wo es die besten Plätze gab. Mein Speicher wurde leer, fand ich gut. Von Geld verdienen konnte allerdings keine Rede sein.
Sie war eine attraktive Frau und verliebt. Sehr verliebt sogar. In mich! Sie stellte mich auf ein Podest. Ich frage Sie, welchen Mann gefällt das nicht? Manchmal dachte ich an heiraten, gemeinsame Zukunft. Diese Idee ließ ich fallen, als sie mit dem Kaufen anfing. Zuerst ein neues Auto, einen Kombi, wegen dem alten Plunder für den Flohmarkt. Konnte ich ihr nicht ausreden. Auch nicht den Kauf einer Videokamera und Stereoanlage mit CD Player, ein iPhone und neuen Laptop. Durch ihren Job bei der Bank könnte sie es sich leisten. Sagte sie jedenfalls. Ihre übertriebenen Aktivitäten gingen mir irgendwann auf den Keks. Nicht lange, sie wurde müde, ließ sich krankschreiben und ging nie mehr in ihre Wohnung zurück. Sie weigerte sich morgens aufzustehen, blieb den ganzen Tag im Bett. Der Grund? Um sie herum wäre alles grau, teilweise schwarz. Mehr konnte ich ihr nicht entlocken. Ihre einzige Freude war jetzt das Essen, mir sichtbaren Folgen. Ihren Schuldenberg gestand sie mir nach und nach. Er erdrückte sie.

Meine Liebe zu ihr war zwar groß, doch wie hätte ich da helfen können? Wie? Ich als kleiner Angestellter? Es rührte mich, wenn sie so vor mir stand. Hatte jetzt etwas Kindliches an sich.
Ihr behandelnder Arzt sagte zu mir, dass diese Phase bei ihr dauern könnte. Ohne meine Hilfe hieße es Sanatorium oder Klinik-Aufenthalt für sie. Das wollte ich nicht. Schließlich hatten wir einen schönen Sommer zusammen verbracht. Außerdem, so schlimm würde es sicher nicht werden. Dachte ich.

Weit verfehlt. Kam ich abends nach Hause, saß sie auf der Sesselkannte, steif ohne jede Regung. Ein richtiges Gespräch mit ihr war nicht möglich. Den Fernseher aus und ein schalten, wenn ich es sagte. Das tat sie. Sonst nichts. Sie empfand weder Freude noch Schmerz. Ihr Gesicht wurde grau, die Haut trocken. Auch ihr Haar, im Sommer lange, blonde Locken, sah jetzt aus wie Stroh. Alle fünf Tage wusch sie die Haare, flocht sie danach zu einem Zopf. Eine riesige Leistung für sie. Mein Leben veränderte sich. Jegliche Musik empfand ich als Lärm, hatte das Lachen verlernt. Meine Freunde nahmen Abstand. Sie hatte keine. Durchhalten war jetzt meine Devise. Trotzdem, ich hielt es nicht aus. „Sie sollten es ihr sagen“, meint ihr behandelnder Arzt. „Aber bitte taktvoll.“

Sie zog mich in ihre Welt. Immer dunkler. Jetzt schon für Wochen. Sicher, ich dachte schon mal daran, stellte mir vor, meine Hände um ihren Hals. Es war immer ganz einfach. Sie wehrte sich nie. Trotzdem Herr Kommissar, ich habe sie nicht umgebracht! Sie hat es selbst getan. Sehen Sie doch, die vielen Röhrchen, leere und volle. Sie hat die falschen Tabletten geschluckt. Herr Kommissar glauben Sie mir, die Haare hat sie sich auch selbst abgeschnitten!


Ein geschenkter Tag

Er macht Späße. Wieso hat er Mann am Schalter so viel Zeit für mich? Bin müde, habe die halbe Nacht Abschied gefeiert. Er schaut noch mal auf mein Ticket, dann auf den Kalender.
„Nett, dass du da bist.  Schön mit dir zu plaudern.“ Er grinst. „Komm Morgen wieder, dann geht auch dein Flieger.“
Noch im Bus Richtung Innenstadt musste ich lachen. Mein Bett in der Jugendherberge war schon vergeben. Alles besetzt. Ich wusste, die anderen Herbergen in der Straße auch.
„Nur für eine Nacht, bitte!“
„Na dann, hier hast du eine Matratze, zwei Dollar weniger.“
Ich legte die Matratze in den Flur. Meine Reisetasche oben drauf. Das Zeichen dafür, dass hier Jemand wohnt. Fünf Tage war ich in der Stadt, kommt eben noch ein Tag dazu. Schön gemütlich will ich es mir machen. Laufe Richtung Fußgängerzone. Ein bekanntes Gesicht. Lieber Gott, der nicht. Wenn der mich anquatscht, wird es nicht gemütlich. Der benimmt sich so sonderbar. Hatte ihn in der Herberge beobachtet. Meistens stand er etwas abseits und schaute zu. Meine Bitte an den alten Herrn ganz oben half nix. Der Typ stand vor mir. Freute sich, mich zu sehen. Auch das noch. Der ist ja taubstumm. Kann ja heiter werden. Er will mit mir gehen. Na gut, will nicht unhöflich sein. Ich muss ihm ganz genau auf den Mund sehen. Wenn er leichte Geräusche von sich gibt, verstehe ich ihn. Er versteht mich, wenn ich den Mund bewege, mit oder ohne Stimme, für ihn wurscht. Gar nicht so schlecht. Manchmal bleiben wir stehen. Die Verständigung klappt dann leichter. Er heißt Jürgen, ist 40 Jahre und kommt aus Hessen. Reist auch allein durch Australien. Sehr mutig finde ich – bewundernswert.
Will mir einen Ring kaufen. Alle zu klein für meine Hände. Jürgen hat Geduld. Nehme keinen Ring, zwei größere Mondsteine tun es auch. Durch Zufall finden wir eine Galerie. Es lohnt sich, haben Freude an den Bildern.
„Mach wie du willst“, vermittelt Jürgen. „Das ist dein Tag.“  
Wir gehen zum Markt, Telefonmuseum, Botanischer Garten und zum Fluss runter. Füttern Enten, winken den vorbeifahrenden Ausflugsbooten. Berichten uns gegenseitig aus unserem Leben. Jürgen ist schon immer so. Bei der Geburt wurde ein Fehler gemacht, meinte er. Seine Geschwister sind normal. Richtig amüsant, wie Volker seine Geschichten erzählt. Der Tag fliegt dahin. Am Abend gehen wir zusammen essen, gleich neben der Jugendherberge. Es war ein schöner Tag. Hatte mich lange nicht so gut unterhalten.
    


in DIESEM ALTER

Der Seniorenstift wurde vorbildlich geführt, nach den neuesten Erkenntnissen. Die Bewohner konnten ihre eigenen Möbel mitbringen, lebten völlig eigenständig. Es gab kleine Wohnungen und im Bedarfsfall war immer Pflegepersonal zur Stelle.

 

Else gehörte zum Seniorenbeirat. Sie war 75, klein, weißhaarig und sehr agil. Ihr freiwilliges Amt war es, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern. Ihnen die Gepflogenheiten des Hauses näher zu bringen. Sie mit den Anderen, die schon länger dort lebten, bekannt zu machen.

 

Karl war auch so ein Neuer. Seine Frau war ganz plötzlich gestorben. Sie hätten in ein paar Tagen „Eiserne Hochzeit“ gefeiert. Karl wurde von seiner Tochter gebracht. Sie lieferte ihn ab mit seinen Kisten, Kartons und den paar Möbeln. Zum Einpacken hatte die Tochter Zeit gehabt. Zum Auspacken und es dem Vater gemütlich zu machen, reichte es nicht mehr.

 

Else kümmerte sich. Karl war hilflos. Seine Frau hatte zu Lebzeiten jeden Handgriff übernommen. Ohne seine Frau war er ein halber Mensch. Else leerte mit ihm Umzugskartons. Sie rückten Möbel zusammen. Als Else die Blumen in sein Zimmer stellte, war es richtig wohnlich. Sein neues Zuhause. Karl war richtig froh. Else umsorgte ihn. Sie half ihm den Tod seiner Frau zu überwinden.

 

Im Seniorenstift gab es mehr Frauen als Männer, alleinstehende. Karl hatte sich gut eingelebt, taute auf. Er hatte einen sehr aufrechten Gang. Die anderen Frauen registrierten ihn. Irgendwann standen Blumen auf dem Tisch, die nicht von Else waren. Darüber sprach Else mit ihrer Tochter.

 

„Stell Dir vor, die Agathe! Bei der letzten Kaffeefahrt schwänzelte sie immer um Karl rum. Machte ihm schöne Augen. Jetzt wo es ihm gut geht und er sich wohl fühlt. Vorher hat sie keinen Finger gerührt, obwohl sie auch im Seniorenbeirat sitzt. Das lasse ich mir nicht bieten. Ich lade ihn ein, bei mir zum Essen.“

 

Else wusste inzwischen, was Karl besonders gerne aß. Er nahm an, als Else meinte: “Eigentlich kann ich auch Mittags eine Kartoffel mehr kochen.“ Alma wurde giftig zu Else und andere Heimbewohnerinnen auch.

 

Elses Tochter wunderte sich. Lässt das im Alter nicht nach?

 

Else und Karl waren oft zusammen, zeigten sich Fotos aus ihrem Leben. Sie war zwei Mal verheiratet. War nicht immer leicht für sie. Karls Frau zeigte auf den Bildern eine füllige Oberweite. „Wie Du“, Karl lächelte, schaute Else lange an, nahm ihre Hand und küsste sie, die Hand. Else war ganz verunsichert, wurde rot. Von da an sah man die beiden nur noch händchenhaltend im Park, in der Stadt. Sie zeigten jedem ihr Glück.

 

„Du redest nur noch von Karl. Was hast du? Bist du verliebt?“ 

Else strahlt. 

„In diesem Alter?“ Die Tochter stockt. „Geht das noch?“ 

„Ja klar, kein Unterschied. Genau wie früher. So einen tollen Liebhaber hatte ich noch nie. Natürlich werden wir nicht heiraten. In diesem Alter! Meine Freiheit, die möchte ich behalten.“

 


Pillen schlucken?

Der Arzt sagt zu ihr:

„Sie sind jetzt in dem Alter in dem man Hormone nimmt.“ 

„Ach?“ 

„Ja wegen der Knochen und so.“ 

„Na gut.“ 

„Herr Doktor, ich fühle mich schlecht. Keine Kraft, bin müde, depressiv.“ 

„Es wird schon werden, sicher nur vorübergehend.“ 

„Herr Doktor, es wird nicht besser. Das bin nicht mehr ich.“ 

„Was wollen Sie, Sie werden alt. Aber die Pillen, die müssen Sie nehmen.“ 

Das sagt der Doktor drei Jahre lang. 

„Herr Doktor, ich kann so nicht mehr leben. Was ist, wenn ich ohne Pillen?“ 

„Riskant, doch ich kann Sie nicht hindern.“ 

„Herr Doktor, ich bin wieder wie früher. So kann ich leben.“ 

„Na gut, dann brauchen Sie keine Hormone, keine Pillen.“ 

„Herr Doktor, was ist mit den drei vergangenen, Hormon-verpillten Jahren?“

 


morgen, ja morgen

Die Arbeit war unbefriedigend.
Das Ergebnis?
Niederschmetternd, einfach schwach.

Hunger!

Wirklich? oder nur Frust?
Zeit zum Essen wäre es.

Augen größer, als der Diät gewohnte Magen.
Völlegefühl. Unwohlsein.
Kräuterlikör, der räumt auf.
Und macht Appetit.

Vom Eisschrank zum Tisch
und zurück einige Male.
Etwas Wein, auch Gewürztes oder Süßes,
immer im Wechsel.

Mehr stopfen als genießen.
Schlechtes Gewissen. Unwohlsein.
Ein Schnäpschen oder zwei,
beruhigen das Gewissen.

Regt leider den Magen an.
Macht Appetit.

Morgen,

ja ab morgen wird wieder gegessen,
doch dann mit Kopf und Verstand.